Status quo bei der Umsetzung der Verbandsklagen-RL

05.12.2022

Wenige Wochen bevor die nationalen Umsetzungsbestimmungen der Verbandsklagen-RL beschlossen sein müssen, sind viele Details noch unklar. Absehbar ist, dass sich viele Mitgliedstaaten für einen Opt-in-Mechanismus entscheiden werden.

Schon länger zeichnet sich ab, dass mehrere Mitgliedstaaten – darunter Österreich – die von der Verbandsklagen-RL festgesetzte First nicht einhalten werden: Mit Stand Ende November 2022 wurde offenbar nur in Litauen[1] und den Niederlanden[2] ein Gesetz zur Umsetzung der RL erlassen. Dabei müssten die nationalen Umsetzungsbestimmungen bis spätestens 25. Dezember 2022 beschlossen und veröffentlicht werden. Es bleibt abzuwarten, ob dies zumindest bis Juni 2023 nachgeholt wird: Bis dahin müssen die beschlossenen Umsetzungsbestimmungen anwendbar sein.

Umsetzungsprozess im Überblick

In den Mitgliedstaaten ist der Umsetzungsprozess unterschiedlich weit fortgeschritten. In Österreich laufen die Arbeiten an einem entsprechenden Entwurf offenbar noch auf ministerieller bzw politischer Ebene und damit unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In Estland, Frankreich, Slowenien, Portugal, Spanien, Ungarn und Zypern scheint noch gar kein offizieller Entwurf vorhanden zu sein.

In Belgien, Deutschland, Griechenland, Kroatien, und Rumänien liegt zwar jeweils bereits ein Gesetzesentwurf vor, der jedoch nicht öffentlich ist, sondern unter interner Begutachtung bzw Abstimmung steht.[3] Allerdings sind etwa über den deutschen Referentenentwurf bereits viele Details an die interessierte Öffentlichkeit geraten.[4]

Publik sind etwa die Entwürfe aus Bulgarien[5], Dänemark[6], Finnland[7], Irland[8], Lettland[9], Luxemburg[10], Malta[11], Polen[12], Schweden[13], der Slowakei[14] und der Tschechischen Republik[15]. Die Umsetzung in nationales Recht steht allerdings noch aus. Italien hat indessen eine „legge delega“ erlassen, die die italienische Regierung zur Umsetzung der RL unter Beachtung bestimmter Grundsätze und Leitlinien ermächtigt.[16]

Opt-in oder Opt-out?

Vom weiten Spielraum, der dem nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung zukommt, ist die grundlegende Systementscheidung darüber erfasst, ob ein Opt-in oder ein Opt-out-Mechanismus (oder eine Mischung aus beiden Systemen) zur Anwendung kommen soll. Gemäß den über den deutschen Entwurf vorliegenden Informationen[17] sieht dieser – wenig überraschend – einen Opt-in-Mechanismus vor: Verbraucher*innen müssen sich aktiv registrieren, um in der Verbandsklage repräsentiert zu werden.[18] Für einen Opt-in-Mechanismus dürften sich nach bisherigem Stand jedenfalls auch Bulgarien[19], Dänemark[20], Finnland[21], Irland[22], Lettland[23], Litauen[24], Malta[25], Polen[26], die Slowakei[27] und Schweden[28] entscheiden bzw entschieden haben.

Der luxemburgische Entwurf überlässt dem Gericht die Wahl des am besten geeigneten Mechanismus: So werde das Opt-in-System geeigneter erscheinen, wenn es unmöglich ist, die Anzahl der betroffenen Verbraucher*innen zu schätzen oder wenn die Art des Schadens das aktive Mitwirken der Verbraucher*innen erfordert – wie etwa bei Persönlichkeitsverletzungen, heißt es in den Erläuterungen zum luxemburgischen Entwurf.[29] Verpflichtend anzuwenden soll der Opt-in-Mechanismus bei körperlichen und immateriellen Schäden sein.[30] Einzig die Niederlande haben einen Opt-out-Mechanismus implementiert – mit der Begründung, dass die Gruppe der repräsentierten Verbraucher*innen in dieser Weise am größten ist.[31]

Wie Österreich diese – und weitere – Fragen löst, ist abzuwarten.


Über die Verbandsklagen-RL

Ende 2020 wurde die Richtlinie (EU) 2020/1828 („Verbandsklagen-RL“) auf Unionsebene verabschiedet. Ihr Kernstück sind die Bestimmungen über eine sogenannte Abhilfe-Verbandsklage. Erstmals sind Mitgliedsstaaten dazu gezwungen, im nationalen Prozessrecht eine kollektive Leistungsklage zur Verfügung zu stellen. Vor allem für Mitgliedstaaten wie Österreich, wo mangels eines derartigen Instruments in der Praxis geschaffene Behelfslösungen dominiert haben, steht gewissermaßen eine Zäsur bevor. Da die RL aber einen sehr weiten Umsetzungsspielraum lässt, wird es von den nationalen Gesetzgebern abhängen, ob die Abhilfe-Verbandsklage einen echten Fortschritt in der gebündelten Abhandlung von Massenansprüchen bringen wird.


[1] Lietuvos Respublikos vartotojų teisių apsaugos įstatymo Nr. I-657 13-1, 30, 32, 33, 34 straipsnių ir priedo pakeitimo įstatymas (Litauisches Umsetzungsgesetz I), https://e-seimas.lrs.lt/portal/legalAct/lt/TAD/2f98ccf05e6e11ed9df7cabc9fe34d2f?positionInSearchResults=1&searchModelUUID=922b9871-0f2e-44f1-9548-d4fe77b0e80b (abgerufen am 29.11.2022); Lietuvos Respublikos civilinį procesą reglamentuojančių Europos Sąjungos ir tarptautinės teisės aktų įgyvendinimo įstatymo Nr. X-1809 priedo pakeitimo ir Įstatymo papildymo devintuoju-6 skirsniu įstatymas (Litauisches Umsetzungsgesetz II), e-seimas.lrs.lt/portal/legalAct/lt/TAD/72b6a7a05e6e11ed9df7cabc9fe34d2f (abgerufen am 29.11.2022).

[2] Staatsblad Jaargang 2022 459 (Niederländisches Umsetzungsgesetz), https://www.eerstekamer.nl/9370000/1/j9vvkfvj6b325az/vlyahgr2qqz9/f=y.pdf (abgerufen am 02.12.2022); in den Niederlanden gab es freilich nur sehr geringen Anpassungsbedarf im Zuge der Richtlinienumsetzung, das WAMCA, das erst 2020 eingeführt wurde, erfüllte die Vorgaben der Richtlinie in Bezug auf die Abhilfeklage bereits sehr weitgehend; die Anpassungen betreffen weitgehend die Regelungen für grenzüberschreitende Fälle; s dazu Van Rhee, Mechanisms for the enforcement of collective consumer interests in the Netherlands in Anzenberger/Klauser/Krautgasser, Kollektiver Rechtsschutz im Europäischen Rechtsraum (2022) 57 (65).

[3] Diese Informationen stammen auf Nachfrage der VerfasserInnen aus den entsprechenden nationalen Justiz- und Wirtschaftsministerien bzw parlamentarischen Auskunftsstellen.

[4] Vgl Röckrath, So soll die neue „Eine-für-alle-Klage“ funktionieren, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/verbandsklage-abhilfeklage-sammelklage-referentenentwurf/ (abgerufen am 29.11.2022); Dahmen, Verbandsklagen: Referentenentwurf stellt „Abhilfeklage“ vor, https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/news/verbandsklagen-referentenentwurf-abhilfeklage (abgerufen am 29.11.2022); Freshfields Bruckhaus Deringer, Entwurf zur neuen Sammelklage in Deutschland, https://www.freshfields.de/our-thinking/knowledge/briefing/2022/09/entwurf-zur-neuen-sammelklage-in-deutschland/ (abgerufen am 29.11.2022).

[5] Проект на Закон за представителните искове за защита на колективните интереси на потребителите (Bulgarischer Entwurf),https://www.mi.government.bg/files/useruploads/files/zashtita_na_potrebitelite/Proekt_LRA.pdf (abgerufen am 04.12.2022).

[6] Forslag til lov om adgang til anlæggelse af gruppesøgsmål til beskyttelse af forbrugernes kollektive interesser (Dänischer Entwurf), https://www.ft.dk/samling/20221/lovforslag/L15/som_fremsat.htm (abgerufen am 29.11.2022).

[7] Hallituksen esitys HE 111/2022 vp (Finnischer Entwurf), https://www.eduskunta.fi/FI/vaski/HallituksenEsitys/Sivut/HE_111+2022.aspx (abgerufen am 29.11.2022).

[8] General Scheme of Representative Actions for the Protection of the Collective Interests of Consumers Bill 2022 (Irländischer Entwurf), https://www.gov.ie/en/publication/ca28a-general-scheme-of-representative-actions-for-the-protection-of-the-collective-interests-of-consumers-bill-2022/ (abgerufen am 29.11.2022).

[9] Grozījumi Patērētāju tiesību aizsardzības likumā (Lettischer Entwurf I), https://tapportals.mk.gov.lv/structuralizer/data/nodes/af2ffe74-729f-4dd6-ab6c-3bf9c2527cc2/preview (abgerufen am 29.11.2022); Grozījumi Civilprocesa likumā (Lettischer Entwurf II), https://tapportals.mk.gov.lv/structuralizer/data/nodes/5992640b-661c-4841-bf9e-0fb3a736726f/preview (abgerufen am 29.11.2022).

[10] Projet de loi portant introduction du recours collectif en droit de la consummation (Luxemburger Entwurf), https://wdocs-pub.chd.lu/docs/exped/0110/196/221963.pdf (abgerufen am 29.11.2022).

[11] Bill entitled “An Act to provide for representative actions for the protection of the collective interests of consumers, and to carry out other consequential amendments” (Maltesischer Entwurf), https://meae.gov.mt/en/Public_Consultations/MISW/Pages/Consultations/ABillentitledAnActtoprovideforrepresentativeactionsfortheprotectionofthecollectiveinterestsofconsumerstocarryoutotherconseq.aspx (abgerufen am 03.12.2022).

[12] Projekt ustawy o zmianie ustawy o dochodzeniu roszczeń w postępowaniu grupowym oraz niektórych innych ustaw (Polnischer Entwurf), https://www.gov.pl/web/premier/projekt-ustawy-o-zmianie-ustawy-o-dochodzeniu-roszczen-w-postepowaniu-grupowym-oraz-niektorych-innych-ustaw (abgerufen am 05.12.2022).

[13] Skydd för konsumenters kollektiva intressen – genomförande av EU:s grupptalandirektiv (Schwedischer Entwurf), https://www.regeringen.se/4a0345/contentassets/0f08db39e7c1444ab9af22e8979119c2/skydd-for-konsumenters
-kollektiva-intressen--genomforande-av-eus-grupptalandirektiv-sou-202242
(abgerufen am 29.11.2022). 

[14] ZÁKON z ......... 2022 o žalobách na ochranu kolektívnych záujmov spotrebiteľov a o zmene a doplnení niektorých zákonov (Slowakischer Entwurf), https://www.slov-lex.sk/legislativne-procesy?p_p_id=processDetail_WAR_portletsel&p_p_lifecycle=2&p_p_state=normal&p_p_mode=view&p_p_cacheability=cacheLevelPage&p_p_col_id=column-2&p_p_col_count=1&_processDetail_WAR_portletsel_fileCooaddr=COO.2145.1000.3.5162279&_processDetail_WAR_portletsel_file=1.-vlastn%C3%BD-materi%C3%A1l-MPK-.rtf&_processDetail_WAR_portletsel_action=getFile (abgerufen am 03.12.2022).

[15] Návrh zákona, kterým se mění některé zákony v souvislosti s přijetím zákona o hromadném řízen ​​(Tschechischer Entwurf), https://www.zakonyprolidi.cz/media2/file/2003/File34962.pdf?attachment-filename=6448511-2019-05-20-duvodova-zprava-6723545.pdf (abgerufen am 04.12.2022).

[16] Delega al Governo per il recepimento delle direttive europee e l'attuazione di altri atti normativi dell'Unione europea - Legge di delegazione europea 2021, https://www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2022/08/26/22G00136/sg (abgerufen am 29.11.2022).

[17] Vgl dazu oben bei und in Fn 4.

[18] Ebd.

[19] Bulgarischer Entwurf, Глава пета, Раздел I., Чл. 14. (3); Глава пета, Раздел II., Чл. 15. (1) 4 ,5, 7.

[20] Dänischer Entwurf, § 16 und Seite 18f, vgl aber Finnischer Entwurf, Seite 56.

[21] Finnischer Entwurf, Section 8.

[22] Irländischer Entwurf, Head 11 (3), (4).

[23] Lettischer Entwurf I, 250.91 pants.

[24] Litauisches UmsetzungsgesetzII, 3130 straipsnis (2).

[25] Maltesischer Entwurf, 8. (1)(c); (13).

[26] Polnischer Entwurf, „Przy przyjętej w projekcie opcji opt-in tylko w ten sposób (...)“.

[27] Slowakischer Entwurf, § 14 (4).

[28] Schwedischer Entwurf, Seite 58, 157, 160, 274.

[29] Luxemburger Entwurf, Art L. 524-1 (6), Seite 13, 46 m. w. N.

[30] Luxemburger Entwurf, Art L. 524-1 (6) (a).

[31] Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 1018f; Memorie van toelichting 36034-3, https://www.tweedekamer.nl/kamerstukken/wetsvoorstellen/detail?id=2022Z02856&dossier=36034#wetgevingsproces (abgerufen am 29.11.2022); vgl dazu auch Van Rhee in Anzenberger/Klausner/Krautgasser 57 (62, 64 ff).

Guillaume Périgois